Zwischen Social Media, Einsamkeit und Gewalt
Was uns die Serie „Adolescence“ mahnend vor Augen führt
Die Miniserie „Adolescence“ zeigt eine Jugendwelt, die vielen Erwachsenen fremd ist und beunruhigende Ohnmachtsgefühle auslöst – voller Social-Media-Codes, kommunikativer Unsicherheiten, Einsamkeit, digitaler Gewalt und frustrierender Suche nach Zugehörigkeit. Auch wenn die Geschichte dramatisch zugespitzt ist, hält sie Eltern, Pädagog*innen und Fachkräften einen Spiegel vor: Wie gut kennen wir die Welt unserer Jugendlichen wirklich?
Was die Serie sichtbar macht
Die Jugendlichen in „Adolescence“ leben in einer Mischwelt aus analogem und digitalem Leben. Vieles passiert online – über Instagram, TikTok, Snapchat. Dort werden Freundschaften geknüpft, Zugehörigkeit getestet, aber auch Gewalt angedeutet und Ausgrenzung sichtbar gemacht. Das hat reale Folgen, weil es die gelebten Beziehungen formt.
Hedwig Wölfl, fachliche Leiterin der möwe, bringt es so auf den Punkt: „Jugendliche leben in einer eigenen Kommunikationswelt, die sich schnell verändert und vielen Erwachsenen verborgen bleibt. Umso wichtiger ist es, im Gespräch zu bleiben – ehrlich interessiert, nicht kontrollierend.“
Mediennutzung nicht verteufeln – sondern verstehen
Die Serie zeigt deutlich: Verbote helfen wenig. Kinder und Jugendliche brauchen stattdessen echtes Interesse, Gesprächsangebote und Vorbilder. Was sie online erleben, beeinflusst ihr Selbstbild, ihre Emotionen und ihr Verhalten im echten Leben. Wer sich ausgeschlossen oder beschämt fühlt, wird anfällig für Radikalisierung, Gruppenzwang oder Gewaltfantasien. Dies betrifft besonders Buben und junge Männer, die in den Einfluss der sogenannten Manosphere geraten, wo Frauenfeindlichkeit und gewalttätige Männlichkeitsbilder propagiert werden.
Die Sozialforscherin Elli Scambor schreibt dazu im Standard: „Es braucht digitale Gegenräume, in denen Männlichkeitsbilder sichtbar werden, die auf Fürsorge, Empathie und Zugewandtheit beruhen. Jungen müssen erleben, dass sie sich kümmern dürfen – um sich selbst und um andere. “
Ihre Analyse fordert uns Erwachsene heraus: Wie leben wir selbst Empathie und Konfliktkultur vor?
Was Eltern & Fachkräfte tun können
Ehrlich interessieren: Nicht nur nach Befindlichkeiten, Noten oder Ausgehzeiten fragen, sondern: Womit geht es dir gut/schlecht? Was beschäftigt dich online? Sich den Instagram-Account oder ein cooles TikTok zeigen und erklären lassen...
Vorbild sein: Wie sprechen wir selbst über andere? Wie gehen wir mit Wut, Stress, Frust oder Konflikten um? Kinder beobachten unser Verhalten genau.
Miteinander leben: Soziale Kompetenz und Zusammenhalt müssen vorgelebt und geübt werden. Das gelingt nur in einem toleranten und zugewandten Miteinander.
Sich selbst weiterbilden: Wer Social Media verstehen will, muss nicht alles mögen oder unproblematisch finden – aber zuhören, nachfragen, dazulernen lässt uns besser verstehen.
Nicht wegschauen: Wenn Jugendliche abgleiten, nicht mehr kommunizieren oder belastet wirken – frühzeitig Unterstützung holen! Beratungsstellen wie die möwe, Rat auf Draht oder Safer Internet helfen vertraulich weiter.
Empathie fördern: Streit gehört zum Leben. Aber wie man wieder zueinander findet, kann gelernt und vorgelebt werden. Versöhnung und konstruktive Konfliktlösung können wir gemeinsam üben.
Kinderschutz im digitalen Zeitalter
Jugendliche brauchen Orientierung. Nicht durch Kontrolle, sondern durch Vertrauen, Gespräche und klare Haltung. Einsamkeit und Beschämung im echten wie im digitalen Raum fressen ein gelingendes Miteinander auf. Die Serie „Adolescence“ ist ein Weckruf – nicht zur Panik, sondern zur gemeinsamen Verantwortung: Kinderschutz beginnt dort, wo wir zuhören, hinschauen und mitlernen.
