Übergriffe unter Jugendlichen – Zunahme durch „Nachholeffekt“?
In den Jahren 2021 und 2022 sind wir gehäuft mit Fällen sexueller Gewalt, nicht mehr einvernehmlichen sexuellen Berührungen bis hin zu „date rape“ unter Jugendlichen konfrontiert. Insbesondere Mädchen im Alter zwischen 13 und 16 Jahren sind betroffen.
Häufig beschreiben die betroffenen Mädchen, dass sie über verschiedene Internetforen (Instagram, Snapchat) Kontakt mit anderen Jugendlichen aufgenommen und zu diesen ein freundschaftliches Verhältnis über die Internetkommunikation aufgebaut hätten. Bei Treffen oft weit entfernt vom eigentlichen Wohnort des Mädchens, kommt es dann zu Übergriffen. Oft treffen diese Mädchen auf eine ganze neue „Freundesgruppe“, Freunde des späteren Täters. Manchmal kommt es auch zum erhöhten Alkoholkonsum bzw. zur Verwendung von KO Tropfen.
Zwei Jahre Pandemie haben entwicklungsgemäße soziale Lernprozesse genauso wie die direkte Erfahrung mit körperlicher Nähe und dem Ausdruck sexueller Bedürfnisse unterbrochen. Zudem bewirkt der sogenannte „Nachholeffekt“, dass Jugendliche sich nicht ausreichend Zeit für diese Erfahrungen nehmen, was auch die Zunahme von Grenzverletzungen untereinander erklären könnte.
Es lässt sich erkennen, dass die Jugendlichen einfach über den Chatverkehr bereits ein Gefühl des Vertrautseins zum Gegenüber vielleicht auch zu dessen ganzer Freundesgruppe aufgebaut haben. In den Erzählungen der Opfer wird zumeist zum Ausdruck gebracht, dass zunächst durchaus auch das Interesse an näherem, zunächst nur zärtlichem Kontakt bestanden hat. Ihre Versuche der Grenzsetzung werden jedoch nicht respektiert, stattdessen kommt es zur Gewaltausübung. Diese reicht von Drohungen verbaler Natur über Versperren der Wohnung, der Ermunterung zum Alkoholkonsum, Verabreichung von Drogen bis zur körperlichen Gewaltausübung.
Der Umstand, dass die Jugendlichen sich zuvor noch gar nicht kennen und somit weder zwischen Opfer und Täter noch zu den manchmal in der Nähe befindlichen anderen Jugendlichen eine Nahebeziehung besteht, dürfte wesentlich zu der Dynamik dieser Vorfälle beitragen. Außerdem fällt auf, dass die Situation völlig unterschiedlich beurteilt wird und das Gespräch über Erwartungen an das Treffen und auch der achtsame Umgang mit Grenzen sowohl mit sich selbst als auch mit anderen fehlt.
Zu allererst muss klar sein, dass die Entdeckung der eigenen Sexualität bezogen auf eine*n andere*n Sexualpartner*in nur im Respekt diesem*r gegenüber stattfinden kann. Gerade in Zeiten verstärkter Nutzung sozialer Medien zur Kontaktanbahnung muss diese Haltung auch im
sozialen Alltag deutlich gemacht werden. Im distanten Raum digitaler Medien scheint die Wahrnehmung des Gegenübers in den Hintergrund zu rücken. Eigene Wunschfantasien an ein Treffen könnten absolutiert werden. Digitale Medien sind aber auch schlichtweg ein geeignetes
Medium für Personen, die in böser Absicht handeln.
So bleibt auf individueller Ebene die Notwendigkeit, im Sinne der Achtsamkeit mit sich selbst vorsichtig zu sein und sich nicht in Gefahr zu bringen. Dies bedeutet, Wünsche und Grenzen eines Treffens vorab zu schreiben, das Kennenlernen im öffentlichen Raum zu planen und
diesen dann auch nicht zu verlassen. Oder eben nur unter Anwesenheit eigener Freund*innen neue Kontakte zu schließen bzw. den Tag oder Abend im Beisein guter Freunde zu verbringen.
Ein Artikel von:
Irene Kautsch
die möwe St. Pölten