Die möwe Informationskampagne gegen Gewalt und Missbrauch an Kindern
Die möwe Kinderschutzzentren gehen erstmals nach längerer Zeit mit einer Informations- und Werbekampagne „on Air“.
Mit insgesamt 4 Sujets werden Gewalt und Missbrauch an Kindern in Printmedien und Online auf vielen Informationsplattformen sowie in den sozialen Medien thematisiert. Die aktuelle möwe Kampagne ist ein Aufruf hinzusehen, über das Thema zu reden und Verantwortung für Kinder zu übernehmen. Mit dem innovativen Design eines halb verborgenen Kindergesichts hinter einer großen weißen Fläche wird auf die innere Leere, die durch Gewalt und Missbrauch entsteht, hingewiesen und der Blick auf die Opfer im Verborgenen gelenkt. Hinter den Gesichtern stehen Geschichten von Übergriffen, wie sie in der möwe tagtäglich erzählt werden.
Für die Umsetzung der kreativen Idee der Agentur Corporate Matters konnte der Fotograf Bernd Preiml gewonnen werden, der die jungen Modelle einfühlsam und geduldig zu verschiedensten Emotionen anleitete und fotografierte. Es entstanden eindrucksvolle Portraits, die von traurig, verzweifelt, über entspannt und entschlossen bis hin zu fröhlich ein breites Spektrum an Gefühlen zeigen. Die Bilder berühren den Betrachter, sensibilisieren für das Thema und rufen dazu auf hinzusehen und über das nach wie vor tabuisierte Thema zu reden.
Konzept ist aber nicht nur, zum Hinschauen, Nachdenken und Spenden aufzufordern sondern auch die Möglichkeit zu geben, sich weiter zu informieren. Dafür wurden in Zusammenarbeit mit dem Büro JETZT Webvideos mit Fachinhalten produziert, über die sich Interessierte über verschiedene Formen von Gewalt, ihre Auswirkungen auf Kinder und Jugendliche, Täterstrategien, Fragen zu Meldepflichten bei Verdacht und einiges mehr informieren können. Die Videos werden auf Youtube online gestellt, jeweils dazugehörige Teaser-Videos werden über die sozialen Medien und Plattformen wie W24 verbreitet. Mit Klick auf einen Teaser gelangt der User direkt zum Informationsvideo.
Die Geschichten hinter den Sujets
Hinschauen – Gewalt und Missbrauch geschehen im Verborgenen
„Das ist unser Geheimnis“ hat Annas Onkel immer gesagt und es Anna damit fast unmöglich gemacht, sich jemandem anzuvertrauen. Die Vergeheimnissung von Missbrauch ist neben Drohungen oder Bestechung in verschiedenster Form eine übliche Strategie von Täter*innen. Da in über 90 Prozent der Fälle die Täter Personen aus dem nahen sozialen Umfeld der Kinder sind, befinden sich die Kinder zumeist in einem massiven Loyalitätskonflikt: es ist ein Mensch, den sie mögen oder dem gegenüber sie sich verbunden fühlen, der ihnen weh tut.
Annas Qualen sind durch das genaue Hinschauen der Kinderärztin aufgefallen. Behutsam und mit Unterstützung der möwe Telefonberatung hat die Ärztin die Eltern auf ihren Verdacht angesprochen. In vorsichtigen und einfühlsamen Gesprächen wurde es Anna möglich zu erzählen, was passiert war. Die Familie wandte sich umgehend an das nächstgelegene Kinderschutzzentrum und wurde ab dem Moment kompetent begleitet. Nach der ersten Krisenintervention wurde die Entscheidung getroffen, Anzeige gegen den Onkel zu erstatten. Die möwe Prozessbegleiter*in bereitete die Familie auf den Prozess vor und begleitete sie zu diversen Terminen bei Polizei und Gericht. Auch nach der Verurteilung und Abschluss des Gerichtsverfahrens blieb Anna noch längere Zeit in der möwe in Psychotherapie. In einer kindgerechten Spieltherapie war es ihr möglich, das Erlebte aufzuarbeiten und neues Vertrauen zu gewinnen.
Reden – Gewalt und Missbrauch dürfen nicht verschwiegen werden
Lara wurde auf einem Schulfest von einem älteren Schüler vergewaltigt. Zuerst hatte sie sich geschmeichelt gefühlt, weil der interessante Bursche aus der höheren Klasse ausgerechnet ihr Avancen gemacht hatte und sie ist auch noch bereitwillig mit ihm hinaus gegangen. Als er nach dem ersten Kuss mehr wollte, hat sie nein gesagt, aber sie hatte einfach keine Chance. Nachdem die Vergewaltigung passiert war, hat er sie mit „Du hast das ja gewollt, keiner wird Dir glauben“ zum Schweigen gebracht. Gewalt und Jugendlichen nimmt zu – die Hemmschwellen scheinen oftmals auch durch soziale Medien deutlich gesenkt zu sein. Laras Geschichte ist kein Einzelfall.
Laras Eltern haben die Veränderung ihrer Tochter in den Wochen danach gemerkt und irgendwann konnte sich das junge Mädchen ihnen anvertrauen. Gemeinsam haben sie sich in der möwe Hilfe geholt. Lara ist nun in der möwe in Therapie. Es sind viele Gespräche und notwendig, um die Situation für Lara erträglich zu machen, ihr wieder ein Gefühl der Sicherheit zu geben und auch ihr Vertrauen zu anderen wieder aufzubauen.
Aufklären – Gewalt und Missbrauch keine Chance geben.
In Miros Schule fand vor wenigen Wochen ein Präventionsworkshop der möwe statt. Der Bursche fand die Themen, mit denen sie sich beschäftigten toll und war voll bei der Sache. Doch es fiel ihm auf, dass sein bester Freund Jan sich im Laufe der beiden Vormittage immer mehr zurückzog. Als erklärt wurde, dass man Geheimnisse, die einen sehr belasten, doch mit jemandem teilen sollte, dem man vertraut, erzählte Jan ihm von seinem Stiefvater, der immer wieder ganz brutal mit seiner Mutter und ihm war. Miro war traurig, dass das seinem Freund passiert, doch er wusste jetzt, wie er Jan helfen konnte. Er ermutigte ihn, gemeinsam zur Lehrerin zu gehen, und zu erzählen, was zu Hause los war.
Mittlerweile leben Jan und seine Mutter in einem Frauenhaus, wo sie vor den gewalttätigen Übergriffen durch den Stiefvater geschützt sind. Einmal pro Woche geht Jan zur Therapie in die möwe.
Zuhören – Betroffene von Gewalt und Missbrauch brauchen Aufmerksamkeit
Jonathan war begeisterter Sportler. So viel Zeit wie möglich verbrachte er bei seinem Verein und er genoss das Training mit seinen Mannschaftskollegen aber auch die Aufmerksamkeit, die er von seinem Trainer erhielt. Mit zusätzlichen Einzeltrainings wollte der ihn noch mehr fördern und er wurde sein Vertrauter, auch wenn es um „Mädchen und solche Sachen“ ging. Irgendwann lud er ihn zu sich nach Hause ein um gemeinsam ein Spiel anzusehen. Dabei kam es zum Übergriff.
Täter bauen oft sehr langsam ein Vertrauensverhältnis zu ihren Opfern auf. Mit Probehandlungen testen sie aus, wie weit sie gehen können. Nach dem Missbrauch wird das Opfer oftmals mit dem Argument: „Du hast ja nichts gesagt, also wolltest Du das auch“ zum Schweigen gebracht.
Einem anderen Trainer des Vereins fiel das eigenartige Verhältnis zwischen den beiden auf. Er erkundigte sich bei der möwe Telefonberatung was er jetzt tun sollte. Nach Kontaktaufnahme mit der Vereinsleitung wurden die Eltern des Buben informiert und Jonathan in einem behutsamen Gespräch nach den Vorfällen gefragt. Jetzt wird er von der möwe Therapeutin begleitet. Gegen den Trainer wurde Anzeige erstattet und Jan und seine Eltern werden behutsam auf den folgenden Prozess vorbereitet.
Gewalt und Missbrauch an Kindern und Jugendlichen – eine Faktensammlung
- Laut europäischem Report über Kindesmisshandlung der WHO aus dem Jahr 2013 sind europaweit 13,4% der Mädchen und 5,7% der Burschen betroffen
- Man kann konservativ geschätzt davon ausgehen, dass in jeder österreichischen Schulklasse 1 bis 2 missbrauchte Kinder sitzen
- In Österreich werden pro Jahr 600 – 800 Fälle angezeigt – die Dunkelziffer ist jedoch enorm
- In den möwe Kinderschutzzentren werden jährlich rund 4000 Kinder und ihre Familien nach Gewalterlebnissen behandelt – 52% aller Interventionen betreffen sexuelle Gewalt, 24 % psychische oder physische Gewalt
- Laut einer durch die möwe 2016 durchgeführten Studie sagen trotz des 1989 gesetzlich verankerten Gewaltverbots in der Erziehung nach wie vor 15% der Befragten, dass sie häufig bis selten mit einem Gegenstand geschlagen wurden und 24%, dass sie zumindest ab und zu eine Tracht Prügel erhalten haben.
- Der Täter/die Täterin stammt in 9 von 10 Fällen aus der Familie oder dem nahen Verwandten- oder BekanntInnenkreis (sozialer Nahraum).
- Ein Kind versucht im Schnitt 5 bis 7 mal sich mitzuteilen, bis ihm geholfen wird
Prävention – Gewalt und Missbrauch verhindern
Gewalt und Missbrauch verhindern ist ein wesentliches Anliegen der möwe Kinderschützer: „Jeder Übergriff, den wir durch Aufklärung verhindern können, bedeutet ein Kind weniger, das unter Umständen ein Leben lang mit seinen seelischen Verletzungen zu kämpfen hat“, meint Mag. Hedwig Wölfl, Geschäftsführerin der möwe Kinderschutzzentren.
Angesetzt wird sowohl bei den Kindern als auch bei den Erwachsenen.
Gelungene Prävention beginnt mit der Vermittlung eines gesunden Verhältnisses zum eigenen Körper, der Wahrnehmung der eigenen Gefühle und dem Bewusstsein dafür, welche Arten von Berührungen angenehm und welche unangenehm sind. Das und mehr wird in möwe Präventionsworkshops an Schulen bereits in der Volksschule vermittelt. Den Kindern wird auch erklärt, wo und wie sie sich Hilfe holen können.
Bei den Erwachsenen geht es um die Erzeugung eines Bewusstseins für die Rechte von Kindern, das Erkennen des Machtgefälles das generell zwischen Kindern und Erwachsenen herrscht und um mehr Aufmerksamkeit und Zivilcourage, wenn es darum geht, für ein Kind Partei zu ergreifen.