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Gewalt gegen Frauen ist oft Gewalt gegen Mütter

Eine Studie der European Union Agency for Fundamental Rights zeigt, dass jede fünfte Frau in Europa seit ihrem 15. Lebensjahr eine Form von Gewalt erfahren hat. Das sind etwa 890.000 Mädchen und Frauen in Österreich. Knapp 11 % berichten von sexualisierter Gewalt und über 30 % haben körperliche Gewalt erfahren (Ohrfeigen, Prügel etc.).

Das ist erschreckend und schockierend, doch solche Zahlen und Fakten sind wichtig, um ein Thema wie dieses greifbar zu machen, das Ausmaß und die Wichtigkeit zu verstehen – und vor allem notwendig, um dagegen vorgehen zu können. Das Verhindern von Gewalt gegen Frauen dient auch dem Kinderschutz – denn viele Frauen haben Kinder und sind selbst Kinder (Töchter) ihrer Eltern. 

Was können wir aktiv tun, um Gewalt, die immenses individuelles und gesellschaftliches Leid verursacht, zu reduzieren?


Was wissen wir über Gewalt?

Nicht nur in Österreich ist Gewalt gegen Mädchen und Frauen ein Thema. Es ist ein weltweites Phänomen – ein Verstoß gegen die Menschenrechte, über den wir nicht hinwegsehen dürfen. Es betrifft nicht nur sie individuell, sondern auch ihre Kinder, ihre Familien – unsere Gesellschaft im Allgemeinen. Stalking, sexuelle Belästigung, psychische Gewalt (Drohungen, Anschreien, Abwertungen, Ignorieren …) und physische Gewalt (Schubsen, Schlagen, Treten ...), Missbrauch, Nötigung, Vergewaltigung, Mord: Gewalt hat viele Gesichter.
Doch: Die Dunkelziffer bei Gewalttaten ist riesig, denn viele Gewaltbetroffene schämen sich, haben Angst und sprechen nicht über ihre Erlebnisse. Gewalt ist ein Tabuthema, weshalb viele Gewalttaten im Verborgenen passieren und Gewaltopfer keine Hilfe erfahren – sowohl selbst betroffene als auch Zeug*innen von Gewalt.

Wer ist von Gewalt betroffen?

Mädchen und Frauen sind im Vergleich zu Männern überproportional häufig von Gewalt betroffen. Sie erleben sowohl psychische als auch physische Gewalt und sehen sich mit sexueller Belästigung sowie sexueller Gewalt konfrontiert. Nicht nur in Österreich, sondern weltweit. Fakt ist auch: Jede Frau kann Gewalt erfahren. Dort, wo Gewalt gegen Frauen üblich ist und nicht sanktioniert wird, ist auch das Risiko für Gewalt gegen Kinder am höchsten.

Besonders vulnerable (verletzliche) Personen haben aufgrund ihrer körperlichen und/oder seelischen Konstitution wie zum Beispiel einer Behinderung/Beeinträchtigung, psychischer Probleme, einer Schwangerschaft oder hohem Alter oder/und aufgrund ihrer besonderen sozialen Situation (z. B. finanzielle Abhängigkeit, Isolation) ein größeres Risiko, Gewalt zu erfahren.

Wo passiert Gewalt gegen Frauen?

Gewalt gegen Mädchen und Frauen passiert vor allem in der Familie und im nahen sozialen Umfeld der Betroffenen. In vielen Fällen sind die Täter (Stief-)Väter, (Ex-)Ehemänner, Lebensgefährten, der Freund oder Expartner. Studien haben gezeigt, dass vor allem das eigene Zuhause – welches ein Ort der Sicherheit und der Geborgenheit sein sollte – ein gefährlicher Ort sein kann. In der Statistik des BMJ aus dem Jahr 2019 ist zum Beispiel ersichtlich, dass bei §206 StGB die Opfer-Täter Beziehung sich folgendermaßen aufteilte: 27 % familiäre Beziehung/Hausgemeinschaft; 21,7 % familiäre Beziehung ohne Hausgemeinschaft, 34 % Bekanntschaftsverhältnis, 6,6 % Zufallsbekanntschaft, 9,8 % keine Beziehung; 0,9 % unbekannt. 

Und auch im Internet sehen sich junge Menschen immer häufiger Gewalt ausgesetzt. Vor allem Mädchen zwischen 15 und 18 Jahren sind besonders gefährdet. Die Betroffenen sehen sich im Internet vor allem mit Beleidigungen und Beschimpfungen sowie sexuell anzüglichen Mitteilungen (Sexting), Cyber-Mobbing oder Online-Stalking konfrontiert. Online-Gewalt findet auf vielen Kanälen statt, denn E-Mail, Messenger-Dienste, SMS, Social Media oder auch Dating-Plattformen bieten zahlreiche Möglichkeiten der Gewaltausübung gegen Frauen.

Gewalt an Frauen bedeutet oft auch Gewalt an Kindern

Die am meisten übersehenen, überhörten und abhängigsten Opfer von Gewalt an Frauen sind neben den unmittelbar Betroffenen deren Kinder. Über das Schicksal der Kinder und Jugendlichen wird in vielen Fällen zu wenig gesprochen, ihnen zu wenig geholfen. In mindestens 50 % der Fälle häuslicher Gewalt sind Kinder und Jugendliche Zeug*innen der Gewalthandlungen.

„Wenn der Vater die Mutter schlägt, trifft er das Kind.“ (vgl. Kavemann, 2013)

Kinder sehen/hören/fühlen Gewalt an anderen – zum Beispiel an der Mutter. Für das Kind hat das Sehen und Miterleben dieser Gewalttat die gleichen Folgen wie selbsterlebte Gewalterfahrung. Kinder, die mittelbar oder unmittelbar Gewalt erfahren haben, erleben gleichzeitig Hass und Verwirrung, denn meist ist es ihre wichtigste Bezugsperson – die Mutter – die Gewalt erfahren hat und der Täter der eigene Vater oder eine innerfamiliäre männliche Bezugsperson. Dadurch wird das Grundvertrauen der Heranwachsenden in andere Menschen schwer erschüttert, es kommt zu Loyalitätskonflikten, ihr Gefühlsleben wird ins Chaos gestürzt.

Unsere möwe Studie aus dem Jahr 2020 zum Thema „Einstellung und Bewusstsein zu Gewalt in der Kindheit in Österreich“ zeichnet ein erschreckendes Bild: Zumindest 15 % der Österreicher*innen haben als Kind immer wieder Gewalthandlungen zwischen den Eltern miterleben müssen. Streitereien zwischen den Erwachsenen gab es in der Hälfte aller Familien – wobei das, je nachdem, ob konstruktiv oder zerstörerisch gestritten wurde, auch etwas Normales sein kann. 70 % der Befragten werten auch dieses Miterleben von handgreiflichen Streitereien als Gewalt an Kindern.

Gewalt hat weitreichende Folgen

Seelische Spuren nach Gewalterlebnissen sind keine Seltenheit und je öfter Gewalt erlebt wird, desto wahrscheinlicher sind potenzielle negative Folgen für die Gesundheit. Neben Angst, Wut, Scham und Schock sind die langfristigen psychischen Auswirkungen immens. 
Mädchen und Frauen mit Gewalterfahrung zeigen langfristige psychische und psychosoziale Folgen (Ellsberg & Heise, 2005) und deutliche Unterschiede in der Entwicklung, der psychischen Gesundheit und im Sozialverhalten. Direkte oder indirekte Gewaltbetroffenheit kann lebenslange gesundheitliche, soziale und ökonomische Konsequenzen für die Überlebenden haben (Day, McKenna, & Bowlus, 2005).

Es gibt zahlreiche wissenschaftliche Ergebnisse, die den Zusammenhang von Gewalterfahrung mit psychischen Problemen (z. B. Posttraumatische Belastungsstörungen, Suizid, Depression und Alkoholismus sowie Angststörung) und chronischen Erkrankungen belegen. Darüber hinaus kann eine Gewalterfahrung mit einem erhöhten Risiko für Delinquenz, Kriminalität, gewalttätigem Verhalten, einer Behinderung, einer geringeren gesundheitlichen Lebensqualität und einem geringeren finanziellen Wohlergehen in Verbindung gebracht werden.

Erste Forschungsergebnisse über die psychosozialen Folgen von Gewaltzeugenschaft im sozialen Nahraum deuten darauf hin, dass das bloße Miterleben von Gewalt ähnliche – wahrscheinlich sogar mindestens genauso gravierende – Auswirkungen hat wie selbst erfahrene Gewalt (Strasser, 2006; Kaveman, 2000).

Bekämpfung von Gewalt

Die aktuelle Situation in Österreich, aber auch weltweit lässt viele Fragen offen. Warum wird so vielen Gewalt angetan? Warum kommt es zu so vielen Fällen von schwerer Gewalt? Und vor allem: Warum werden Mädchen, Frauen und auch ihre Kinder nicht besser vor Gewaltverbrechen geschützt?

Wir fordern eine Stärkung des Opferschutzes in Österreich speziell für minderjährige Betroffenen von Gewalt. Es braucht inneren Mut für die Opfer von Gewalt (v. a. für Kinder und Jugendliche) eine Anzeige zu machen. Es ist belastend und mit enormem Stress verbunden, sich zu erinnern, etwas Schreckliches/Peinliches/Schmerzhaftes im Detail auf Nachfragen zu schildern. Daher sollten Polizist*innen, Richter*innen und Jurist*innen sowie Pädagog*innen dafür speziell ausgebildet werden. Eine Verankerung von Kinderschutzthemen in den Grundausbildungen wäre ein erster wichtiger Schritt.

Besondere Sensibilisierung braucht es für die speziellen Konstellationen, in denen sich ein Verdacht eines sexuellen Missbrauchs gegen den/der getrennt lebenden Partner*in richtet – z. B.: der Vorwurf des sexuellen Missbrauchs als Instrumentalisierung in einem Kontaktrechtsverfahren. Es ist wichtig und das oberste Ziel, dass in schweren Fällen nur einmal eine Aussage gemacht werden muss. Aus der Aussagepsychologie ist bekannt, dass bei mehreren Befragungen die Belastung sehr hoch ist und das Risiko für Widersprüche in den Aussagen steigt.  

Das traurige Fazit ist, dass es schlichtweg an vielen Stellen an finanziellen Mitteln fehlt. Es bräuchte mehr Geld für präventive Maßnahmen in den Familien, für die Installation von Frühwarnsystemen und für niederschwellige Familienbegleitung. Opferschutzeinrichtungen brauchen entsprechende Ressourcen, um mit deren Hilfeleistungen die Erwartungen der Betroffenen hinsichtlich des Schutzes und der Unterstützung zu erfüllen und deren Bedürfnissen gerecht zu werden.

Hinschauen und achtsam sein

Angesichts der Häufigkeit und der besonderen Art von körperlicher und sexueller Gewalt– die oft im familiären, engsten Umfeld erlebt wird – erfordert dieses Thema unserer aller Aufmerksamkeit. Es ist ein öffentliches Thema von allgemeinem Interesse, das konstruktive Kampagnen, Initiativen und Maßnahmen erfordert.

Neben rechtlichen und politischen Hilfeleistungen ist es vor allem auch Zivilcourage, die Gewalt verhindern kann: Denn Hinschauen, Hinhören und Handeln können wir alle. Die Gesellschaft muss in die Verantwortung genommen werden, um gewaltgefährdete Frauen und Kinder nicht allein zu lassen. Es muss eine Nulltoleranz gegen Gewalt geben.

„Wir alle müssen aufmerksam sein, wenn wir Gewalt beobachten, wenn es in der Nachbarwohnung in beunruhigender Weise laut oder leise wird, wenn wir Kinder alleine im Stiegenhaus vorfinden, weil sie sich nicht in die Wohnung trauen, wenn Mütter verstört und verweint sind, wenn uns jemand bittet, die Polizei zu rufen, wenn Schreie hörbar werden“, appelliert Hedwig Wölfl, die möwe Geschäftsführerin an alle.

Sie weist darauf hin, dass es in solchen Situationen rasche und feinfühlige Unterstützung für die Betroffenen braucht. Spezielle Einrichtungen wie die möwe können bei Gewalt(-verdacht) gegen Kinder helfen. Doch vor allem kommt es auch darauf an, dass Gewaltopfer Menschen in ihrem Umfeld brauchen, die ihr Bedürfnisse im Blick haben, mit ihnen das Erlebte aufarbeiten und sie auch dabei unterstützen, sich professionelle Hilfe zu holen.

Mit psychologischem Rückhalt und Beistand für die Familien können gute Bedingungen geschaffen werden, in denen Betroffene mit dem Trauma und allen damit in Zusammenhang stehenden Gefühlen umzugehen lernen. Es ist eine große Herausforderung, diese Gefühle zu entwirren und wieder ein Grundvertrauen in andere Menschen aufzubauen, um damit das Erlebte verarbeiten zu können und eine weitere gute und stabile Entwicklung zu ermöglichen.

Tipps gegen Gewalt: Vorbild sein

Kinder ahmen nach, sie brauchen Vorbilder, um zu lernen. Daher tragen wir Erwachsenen die Verantwortung, unsere Kinder so zu erziehen, dass Gewalt in ihrem Wertegefüge keinen Platz hat. Wir brauchen Männer als Väter sowie Frauen als Mütter, die Konflikte ohne Gewalt austragen können, die ihren Kindern ein Vorbild sind und es schaffen, in der Erziehung zugewandt und konsequent zu sein, ohne Gewalt anzuwenden. Im Sinne einer gewaltfreien Erziehung müssen wir unseren Kindern zeigen, dass es keine körperlichen Strafen, Abwertungen, Drohungen oder gar Liebesentzug braucht, um seinen Willen durchzusetzen. Wenn Kinder verstehen, dass sie auch ohne Gewalt ans Ziel kommen und die Folgen des eigenen Verhaltens abschätzen lernen, werden sie hoffentlich auch als Erwachsene Gewalt ablehnen und nicht gewalttätig handeln.

Tipps gegen Gewalt: So können Sie im Akutfall helfen

  • Stellen sie rasch und unverzüglich Sicherheit her. Unterbrechen Sie mit klaren Worten die Auseinandersetzung und holen Sie die Frau (und ihr/e Kind/er) aus der Situation.
  • Rufen Sie Polizei (133) oder Rettung (144), wenn Sie keine andere Möglichkeit sehen und verlassen Sie mit der Frau (und Kind/ern) den Ort der Gewalt.
  • Seien Sie für die Betroffenen da. Hören sie zu und schaffen sie eine vertrauensvolle Atmosphäre. Vermitteln Sie Sicherheit und machen Sie klar, dass gegen Gewalt geholfen werden kann. 
  • Wenn Sie Sorgen haben, lassen Sie sich vom Frauennotruf (01 71 71 9) oder bei minderjährigen Betroffenen durch die Telefonberatung des möwe Kinderschutzzentrums (01 5321515) oder von Rat auf Draht (147) unterstützen.

 

Auf der Website beratungsstellen.at finden Sie eine Liste aller Beratungsstellen österreichweit, die Opfern von Gewalt rasch helfen können.


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Quellen:

Bundesministerium für Justiz, Bericht über die Tätigkeit der Strafjustiz, BMJ Sicherheitsbericht, 2019 https://www.justiz.gv.at/home/justiz/daten-und-fakten/berichte/sicherheitsberichte.2c94848525f84a630132fdbd2cc85c91.de.html

Bundesministerium für Wirtschaft, Familie und Jugend, Gewalt in der Familie und im nahen sozialen Umfeld: Österreichische Prävalenzstudie zur Gewalt an Frauen und Männern, Wien, 2011, WOGRANDL Druck

Bundesministerium für Digitalisierung und Wirtschaftsstandort, Broschüre Gewalt im Netz gegen Frauen und Mädchen in Österreich, Gewalt im Netz gegen Frauen & Mädchen in Österreich, 2017

Day, T., McKenna, K., & Bowlus, A., The economic costs of violence against women: An evaluation of the literature, 2005

Ellsberg, M., & Heise, L., Researching violence against women: a practical guide for researchers and activists. World Health Organization, PATH: Washington D.C., 2005

European Union Agency for Fundamental Rights, Violence agains women: an EU-wide survey. Luxem-burg: Amt für Veröffentlichungen, 2014

FRA-Studie, Gewalt gegen Frauen. Eine EU-weite Erhebung, 2014

Gewalt in der Familie und im nahen sozialen Umfeld. Österreichische Prävalenzstudie zur Gewalt an Frauen und Männern, 2011

Kaveman B., Kinder als Zeugen und Opfer von häuslicher Gewalt. In Sozialdienst katholischer Frauen (Hrsg.) Dokumentation Fachdorum Frauenhaus. Eigenverlag, 2011

möwe - Kinderschutzzentren, Einstellung und Bewusstsein zu Gewalt in der Kindheit in Österreich, 2020

 

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