Wissen

Erfahrungen aus dem Traumapädagogik Lehrgang

Interview mit Claudia Kornfeld, Leiterin der möwe Neunkirchen

Seit Jänner 2024 besucht Claudia Kornfeld den 3. Traumapädagogik-Lehrgang, den die möwe Akademie seit 2022 in ihrem Kursprogramm anbietet. Der Lehrgang dauert 8 Module und richtet sich an pädagogische und psychosoziale Fachkräfte, die mit traumatisierten Kindern und Jugendlichen und ihren Angehörigen zu tun haben. In unserem Gespräch gibt Claudia Einblicke in die Inhalte des Lehrgangs und erzählt, wie sie das dort erworbene Wissen bei ihrer Tätigkeit in der möwe unterstützt.

Kannst du mir beschreiben, worum es in dem Lehrgang genau geht?

Neben Hintergrundinformationen zum Thema Trauma lernen wir zu erkennen, wie sich traumatisierte Kinder und Jugendliche zeigen und wir bekommen verschiedene Tools zur Hand, um diese zu begleiten und zu stabilisieren. Und es geht um Beziehungsaufbau, traumasensible Arbeit, Bindung und Selbstfürsorge für Helfer*innen.

Was ist eigentlich ein Trauma?

Generell ist ein Trauma ein massiver, hochgradiger Einschnitt, der die Betroffenen an den Rand der Belastbarkeit bringt. Das kann ein Monotrauma sein, also etwa ein Verkehrsunfall, den man überlebt habt oder multiple Traumen, wie eine Gewalterfahrung über mehrere Jahre hinweg. Man könnte ein Trauma auch als übermächtiges Ereignis bezeichnen, dessen Erleben einen handlungsunfähig macht.

Im Gegensatz dazu ist ein Drama besprechbar und es lässt einen weiter agieren. Wenn die Freundin ein Geheimnis ausgeplaudert hat, zum Beispiel, dann ist man verärgert, aber man bleibt weiterhin handlungsfähig.

Menschen reagieren auf Traumata mit einer Schockstarre oder als natürliche Reaktion mit Flucht oder Angriff. Das hängt natürlich immer davon ab, welche Strategien im Leben erlernt und schon „erfolgreich“ angewendet wurden. Ich erlebe häufig im Zusammenhang mit Gewalterfahrung oder Missbrauch, dass die Jugendlichen sagen: „Ich konnte nicht aus der Situation rausgehen – ich konnte nicht weg“ – sie empfinden sich selbst als handlungsunfähig und gefangen, empfinden eine Ohnmacht.

Unser Ziel ist es, die Betroffenen aus der Schockstarre hinauszuführen und dafür werden uns im Lehrgang die verschiedensten Skills zur Verfügung gestellt. Wir versuchen zu besprechen, was in dem Kind/Jugendlichen vorgeht, was er oder sie fühlt. Wir klären mit ihnen, warum sie in der bedrohlichen Situation nicht reagieren konnten und schauen, welche Ressourcen es gibt, die ihnen helfen können sich nicht weiterhin in der erlebten Ohnmacht zu fühlen.

Im Kinderschutz ist es uns besonders wichtig, den Betroffenen einen sicheren Rahmen zu bieten und transparent zu arbeiten, damit wird auch aktiv die Handlungsfähigkeit unterstützt.  So wird unseren Klient*innen auch zugesichert, dass alles, was sie erzählen vertraulich bleiben wird. Natürlich mit der Ausnahme einer akuten Gefährdung, aber darüber klären wir unsere Klient*innen ebenso auf.

Wie macht man Trauma besprechbar und was bedeutet es, traumasensibel zu arbeiten?

Traumasensibel arbeiten heißt, dass man Beziehung aufbaut und nicht direkt an den Folgen eines traumatischen Erlebnisses arbeitet, das obliegt der Traumatherapie. In der Traumapädagogik schauen wir hin, wie wir Kinder und Jugendliche körperlich und emotional stabilisieren können und bieten Werkzeuge an, um Sicherheit zu geben. So kann es zum Beispiel helfen, die eigene Beziehungslandkarte aufzuzeichnen, um herauszufinden, wen es im sozialen Umfeld gibt, der stabilisieren kann und wer guttut und wer nicht. In den meisten Fällen gibt auch eine „gute“ Vergangenheit, an die die Erinnerungen durch das Trauma sozusagen verschüttet wurden. Dort können jedoch häufig Ressourcen aufgegriffen werden, die nun in der belastenden Situation helfen können.

Wie kannst du die Ausbildung in Deiner Arbeit im Kinderschutzzentrum nutzen?

Mir hilft die Ausbildung bei der Einschätzung, ob bestimmte Verhaltensweisen eines Kindes auf ein Trauma hinweisen, um dann dementsprechend sensibel darauf einzugehen zu können und entsprechende Skills anzubieten.

Oft habe ich bei diversen Inhalten des Lehrgangs gleich konkrete Klienten im Kopf, für den das Gehörte passend wäre. Ich notiere es dann und kann es direkt in der nächsten Beratungseinheit anwenden. Auch der Kontakt zu meinen Lehrgangskolleginnen ist sehr wertvoll, denn wenn wir uns (natürlich anonymisiert) über Fälle austauschen, dann können sie mir oft aus einem ganz anderen Blickwinkel ihre Sicht mitgeben. Das ist unheimlich wertvoll, wenn man über das eigene Team und die Arbeit hinaus reflektieren kann.

Meine Lehrgangskolleginnen kommen aus ganz anderen Bereichen, haben aber auch alle beruflich mit Kindern und Jugendlichen zu tun. Die Art der Traumata, die ihnen begegnen, unterscheiden sich insofern, dass es bei uns immer um verschiedenste Gewalterfahrungen geht. Bei der Kindergartenpädagogin geht es vielleicht eher um eine Trennung der Eltern oder einen Todesfall in der Familie. Eine Kinderkrankenschwester ist wiederum mit Traumata nach Unfällen oder schweren Erkrankungen konfrontiert.

Du hast am Anfang das Thema „Bindung“ angesprochen – warum ist das im Zusammenhang mit Trauma ein Thema?

Die Kinder kommen meistens nicht alleine zu uns und nach einer Beratung entlassen wir sie ja wieder in ihre familiäre Umgebung. Da kommen die Bezugspersonen zu tragen, denn auch sie brauchen Raum zur Verarbeitung der Geschehnisse. Die Sorge um das Kind oder auch das eigene schlechte Gewissen, das Kind nicht geschützt haben zu können, können auch bei den Eltern eine große Hilflosigkeit auslösen. In den Fällen ist es ebenso wichtig, das Bezugssystem zu stabilisieren, damit sie gut für ihre Kinder da sein können.

Wir schauen uns an, wie viel Nähe oder Distanz da ist, wie viel Raum einem Kind gegeben wird und wie viel Vertrauen es in seine Bezugsperson zeigt. Eine gute Bindung gibt Sicherheit und die brauchen die Betroffenen, um das Trauma besser bewältigen zu können.

Darum arbeiten wir in der möwe so gut wie möglich im Dualsystem mit den Eltern und dem Kind, weil ein Elternteil der emotional überfordert ist, kann dem Kind kein stabiles Umfeld geben.

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